Maß für Maß
von William Shakespeare, deutsch von Thomas Brasch
Maß für Maß
von William Shakespeare, deutsch von Thomas Brasch
NICK HARTNAGEL REGISSEUR
Der Triumph der Waldrebe in Europa (UA)
Von Clemens J. Setz
// Schauspiel Stuttgart
Eingeladen zu den 48. Mülheimer Theatertagen
Premiere: am 14. Oktober 2022, Schauspiel Stuttgart
Regie: Nick Hartnagel
Bühnenbild: Yassu Yabara
Kostümbild: Tine Becker
Musikalische Leitung: Lukas Lonski
Choreografie: Stefanie Bloch
Dramaturgie: Ingoh Brux, Sarah Tzscheppan
Mit: Therese Dörr, Gabor Biedermann, Camille Dombrowski, Jannik Mühlenweg, David Müller, Elias Krischke, Jakob Spiegler, Kinderstatisterie: Piet Baumbach, Oliver Nettesheim, Lasse Pirkner, Jonah Schäfer
Der achtjährige David Herzer ist tot. Ein Autounfall verändert das Leben seiner Eltern mit einem Schlag. Ihr Sohn hinterlässt eine Leerstelle, die Renate und Konrad Herzer nicht akzeptieren können. Mithilfe digitaler Medien erschaffen sie eine Welt, in der David weiterlebt. Auf ihrem Blog gibt Renate Herzer täglich Einblicke in ihr Familienleben. Die Öffentlichkeit reagiert gespalten. Ein Fernsehteam besucht die Eltern, um einen Film über den „Fall David Herzer“ zu drehen. Die Schule will David nicht mehr am Unterricht teilnehmen lassen. Die Debatte eskaliert, als der YouTuber Tim Feels ein kritisches Video über den Umgang der Eltern mit ihrem verunglückten Sohn postet. „Mein Sohn gehört nicht der Erde, er gehört uns“, sagt Renate in einem Interview. Sie kämpft gegen Hasskommentare und für das Weiterleben ihres Sohnes. Die mediale Resonanz legitimiert die Welt, die sich das Ehepaar geschaffen hat. Je mehr Aufmerksamkeit David bekommt, desto lebendiger scheint er zu werden.
Auszug TAZ (Björn Hayer):
„Während die Nerven bald schon aller blank liegen, gewinnt in Clemens J. Setz’ neuem Stück „Der Triumph der Waldrebe in Europa“ lediglich eine: die allpräsente Kamera. Ihr gewährt Nick Hartnagel in seiner fulminanten Inszenierung am Schauspiel Stuttgart breiten Raum. Überall nimmt sie das Geschehen auf und projiziert es teilweise mehrfach in Großaufnahme für das Publikum. […] Alles ist transparent, alles wird einem pornoiden Blick ausgeliefert: die Trauer, die bizarre Beschäftigung mit dem maschinellen Gravitationszentrum David […]
Setz und Hartnagel diskutieren diese drängenden Anliegen im Rahmen einer sehr anschaulichen, fein strukturierten Geschichte. Die Inszenierung gelingt vollends, weil sie dabei weder vor skurriler Situationskomik noch vor melancholischen Stimmungen zurückschreckt. Erst in dieser Kombination vermittelt sich die Ambivalenz der Gemengelange: von der Technik als Hoffnungsanker (für Renate) wie auch als Gift für die Realität. Für die Figuren mag diese emotionale Odyssee erschöpfend sein, für das Publikum trifft das Gegenteil zu: Die intensive Inszenierung wirkt packend bis zur letzten Minute."
Auszug FAZ (Andreas Platthaus):
"Um die Eltern herum entfalten Jannik Mühlenweg als Tim Feels sowie Camille Dombrowsky, David Müller und Elias Krischke als Fernsehteam einen wahren Hexensabbat an Aktivität, wobei das Trio auch noch in andere Rollen fällt […] und für jede gibt es eine durchchoreographierte Körpersprache, denn nicht selten wird getanzt im Hause Herzer, und die resultierenden Verrenkungen und Verschlingungen bringen eine Ebene ins Spiel, die wiederum aufs Schönste mit den dezidiert schnörkellos und für eine deutsche Bühne ungewohnt verständlich artikulierten Dialogen kontrastiert. Selten wurde jüngst im Theater so lebensecht gesprochen und so körpersprachlich betont gelebt: hohe Sprach- und Spielkultur […]. Verdienter langer Beifall am Ende fürs kleine junge Ensemble."
Auszug Ludwigsburger Kreiszeitung (Arnim Bauer):
"Regisseur Nick Hartnagel zündet ein ganzes Feuerwerk von skurrilen Szenen, zeigt schon mit dem Bühnenbild symbolisch, wie das Private, das hinter Gardinen in einer stilisierten Wohnung stattfindet und bis dorthin individuell bleibt, regelmäßig an die Öffentlichkeit – hier an die offene Spielfläche vor dem Bühnenbau – gezerrt wird.
Was Setz präsentiert, mag noch das Odium des Utopischen haben, aber es ist nahe an dem, was man sich zukünftig vorstellen kann. Regisseur Nick Hartnagel macht daraus fast eine witzige Farce. Situationskomik vermengt er mit besinnlichen Momenten, […] bleibt aber dann doch in einem Rahmen, der das Thema letztlich ernst nimmt. Vor allem auch, weil vor allem Therese Dörr in der Rolle der resoluten Mutter, die keine Zweifel an ihrer Lebenslüge aufkommen lässt, diese Figur in so unnachahmlich glaubhafter Weise präsentiert […]."