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Biedermann und die Brandstifter
von Max Frisch

Premiere: 23. April 2016

am Landestheater Tübingen

Regie: Nick Hartnagel

Bühne und Kostüme: Merle Vierck

Dramaturgie: Stefan Schnabel

 

Mit: Andreas Guglielmetti, Martin Bringmann, Patrick Schnicke, Raphael Westermeier

Über die Inszenierung

„Anhand des Stoffes untersuchen wir in einem Alptraumszenario, das seine Bilder aus deutschen Märchen und aktueller Medienbildpolitik bezieht, wie wir aus Angst vor dem Fremden, das Fremde in uns entdecken und selbst zum Brandstifter werden.“

Kritik

Auszug Schwarzwälder Bote, Christoph Holbein:

„Eines lässt sich der Inszenierung des Schauspiels „Biedermann und die Brandstifter“ am Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen (LTT) nicht nachsagen, dass sie langweilig oder gar langatmig sei. Im Gegenteil: Regisseur Nick Hartnagel bürstet bei seiner Interpretation des Stücks von Max Frisch kräftig gegen den Strich und schöpft nahezu alle Möglichkeiten, die das Theater zu bieten hat, aus – bis hin zum per Videokamera auf die Leinwand projizierten pyrotechnischen Mini-Feuerwerk im Modellbau-Dachboden. (...)

 

Im Stangenwald aus Tüchern – für Bühne und Kostüme zeichnet Merle Vierck verantwortlich – entwickelt sich ein skurriles Spiel mit grellen Motiven: hier die Wolfsmaske, dort der Plüschaffe in Schwimmweste; hier Patrick Schnicke als Ringer Schmitz nur in Unterhose und verschlammt, dort das Schwimmen im Rindenmulch ans lebensrettende Ufer – die Bootsflüchtlinge lassen grüßen. Der Regisseur steigert das ins Groteske, während der eine aufschreit wegen eines angeschwemmten ertrunkenen Flüchtlings, schreit der andere auf, weil sein ungebetener Besucher beim Hinsitzen den Sessel schmutzig macht. Es sind diese kleinen ironischen, sarkastischen, mitunter zynischen Details, mit denen die Inszenierung jongliert. Das steigert sich, ja verzerrt sich bis ins Clowneske hinein mit Schattenspiel und Slapstick-Einlagen – mal melodramatisch, mal Parodie, mal choreografiert als tolpatschige alles umreißende Zerstörungsarie im Stangenwald. Hartnagel treibt das Spiel auf die Spitze und lässt dabei seine Protagonisten sich beim Dialog fechtend duellieren.

Das ist intensiv und fein gespielt mit dem Gefühl für die kleinen Gesten. (...)

In der Lagerfeuer-Romantik rund um den erhellten Kronleuchter auf dem Boden sitzend und im Chor ein Volkslied singend, das die Schauspieler dann in den Zuschauerraum tragen, klagt die Inszenierung die „kannibalische Weltordnung“ an, in der alle drei Sekunden ein Mensch verhungert und damit ermordet wird, weil er gerettet hätte werden können. Dem entgegen propagiert Hartnagel den Traum von einem Theater, das auch die dickste Betondecke des Egoismus durchbricht und zu einem Aufstand des Gewissens führt, um dann doch ernüchtert festzustellen, dass das Kapital stärker ist als die Kunst. Was schließlich darin endet, dass alle gemeinsam - jeder mit seinem entflammten Streichholz - die Zündschnur anstecken, um die Benzinfässer in die Luft zu jagen.

Die Inszenierung gefällt nicht jedem. Am Ende gibt es sogar einen einzelnen Zuschauer, der die Arbeit von Nick Hartnagel mit Buhrufen quittiert, aber diese Unmutsäußerung ist im anhaltenden Applaus der anderen so gleich übertönt und rasch vergessen.“

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